„Warum habe ich in Staatsbürgerkunde nicht einen Aufsatz wie die anderen geschrieben“, fragt sich Manja, die 1983 die erweiterte Oberschule in Leipzig besucht. Eigentlich ist sie eher der ängstliche Typ. Der kurze jugendliche Übermut, ihrer ehrliche Meinung aufs Papier zu fixieren, bringt sie ins Visier der Stasi, die sie kurz darauf verhaftet und in eine geschlossene venerologische Anstalt einweist. Die Tripperburg in die Lerchenstraße. Hier werden Frauen verwahrt, mit der Begründung sie würden Geschlechtskrankheiten verbreiten. Ohne Gerichtsurteil und ohne je Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, wird Manja hier in dieser Art Frauengefängnis über Wochen festgehalten und misshandelt.
Schon im Nationalsozialismus ist das Gebäude in der Lerchenstraße Ort des Strafvollzugs eines diktatorischen Systems. Wilpert erzählt vom Schicksal der jugendlichen Lilo, die als politische Gefangene von November 1944 bis Januar 1945 in ihren feuchten Kellern eingesperrt wurde.
2016 wird die Lerchenstraße zur Unterkunft für Geflüchtete umgebaut. Robin absolviert hier ihr FSJ und stößt im Keller zufällig auf die Akten der Frauen von 1983.
Die Verortung des Gebäudes ist fiktiv. Die Vorkommnisse des Romans basieren auf intensiven Recherchen der in Altötting geborenen und seit einem Jahrzehnt in Leipzig beheimateten Autorin. Wer mehr über die Praktiken des DDR Regimes gegen Andersdenkende erfahren und sein Wissen über die Jugendwerkhöfe hinaus zu einer nächsten, perfiden Station der sozialistischen Umerziehung erweitern möchte, findet hier brisanten, kaum bekannten Stoff.
Die jugendlichen Figuren, Lilo, Manja und Robin tragen uns abwechselnd durch die wie ein Mosaik komponierte Zeit. Wir lesen, nicht zuletzt durch die choralen Passagen der Frauen auf der Tripperburg, die das kollektive Wir der Betroffenen in die Erzählperspektive einbringen, dieses Stück Zeitgeschichte mit gewissem Abstand, der die politischen Sachverhalte ins eigentliche Zentrum rückt.