Vom Rand unseres Sonnensystems zoomt sich Björn Stephan mit der Wahl seines Titels an das Leben heran. Im Zentrum seines Debüts steht die jugendliche Gegenwart von Juri, Sascha und Sonny im Jahr 1994. Sie wachsen in einem Schmuckstück sozialistischen Wohnungsbaus auf: einer am Reißbrett entstandenen, gleichförmigen Siedlung zwischen Stadt- und Waldrand. Die Zeit des Umbruchs gibt das eigentlich noch gar nicht ganz fertig gestaltete Gelände schon wieder dem Verfall preis. Von diesem ostdeutschen, jetzt bundesdeutschen persönlichen und gesellschaftlichen Wandel erfahren die Leser aus Saschas Augen. Sein Standpunkt liegt dabei schon zwei Jahre vom Geschehen entfernt. 1994 ist Sascha gerade ein Teenie und zum ersten Mal verliebt. Verliebt in Juri, die Neue in der Siedlung. Sie ist die Erste, die ihm zeigt, wie man zu den Sternen greift. Er selbst, ein unscheinbarer Junge, sammelt besondere Wörter. Sie bilden den Gegensatz zur Sprachlosigkeit seines gegenwärtigen Lebens und stehen für den Anfang eines Aufbruchs mit unbekanntem Ziel. Sein bester Freund Sonny versucht seine Sprache in der Musik zu finden. Das Unterfangen wird sich als Sackgasse herausstellen. Juri möchte Kosmonautin werden, auch wenn der sozialistische Traumberuf jetzt Astronautin heißt. Doch für all diese Träume sind die immer gleichen Wohnungen aus Gipskarton, das Leben in der Siedlung nicht geschaffen. Die Zeit für eine Flucht nach vorn muss noch kommen.
Zwischen den Überresten des Sozialismus vermessen die drei zunächst mit Mühe ihren aktuellen Standpunkt. Der noch zaghafte Rückblick der Jugendlichen, hängt noch vollständig mit der Geschichte der eigenen Eltern zusammen und ist in vielerlei Hinsicht voller Geheimnisse und von Schweigen umhüllt. Den Blick nach vorn öffnen die wenigsten Erwachsenen. Der sonderliche, alte Herr Reza bildet eine Ausnahme. Seine Ausführungen machen neugierig und verwirren die jungen Menschen zugleich. Juri findet Saschas Geschichte 2019 im Nachlass ihrer Mutter. In einer Rahmenhandlung liest und kommentiert sie dieses Jahr in ihrer Jugend aus noch weiterem zeitlichen Abstand. Über allem gleitet die Raumsonde Voyager 1 in die Weite des Alls. Juri hat sie damals gedanklich ins Spiel gebracht und Sascha ist ihrer Mission nachgegangen. Sie liefert ein starkes Bild in Sachen Lebensreise und bringt es auf den Punkt. Sie ist der menschliche Aufbruch zu Erkundungen in nicht vorstellbare Ferne, die letztendlich zur Ergründung des eigenen Ursprungs dient. Eine Rückkehr ist nicht mehr möglich.
Stephans souveräne Jonglage mit Blickachsen, seine spielerisch anmutende Konstruktion, die Gedankenräume zu öffnen vermag, kann die Milieustudie aus Mitte der 90er Jahre, welche an ihrer Oberfläche von jugendlichem Laissez-faire geprägt ist, zur gewinnbringenden Entdeckung für Jugendliche machen. Mit voranschreitendem Lebensalter wachsen die Möglichkeiten der Kartierung des Lebens und das Verständnis von Rückblicken auf die eigene Herkunft. Beim Austritt aus dem Sonnensystem schießt Voyager einen letzten Erdenblick. Nur wer aufbricht, kann zurückblicken und Neues entdecken. Dieser Roman führt uns nicht zuletzt diese Tatsache auf mehreren Ebenen gelungen vor Augen.