Henny und Ponger – zwei Menschen, die nichts als reiner Zufall verbindet. Zufällig sitzen sie beide in derselben S-Bahn. Zufällig lesen sie dort dasselbe Buch. Und nur zufällig spricht Henny genau Ponger an und bittet ihn um Hilfe, bevor sie die Notbremse zieht und fluchtartig aus der S-Bahn verschwindet. Ponger kommt das alles sehr suspekt vor – und hofft, die Sache einfach vergessen zu können. Aber Henny lässt nicht locker, denn sie muss wirklich dringend zurück zu ihrem Fahrzeug, das auf einer Nordseeinsel gestrandet ist. Und weil Ponger sich sehr für die Reparatur aller möglichen Apparate interessiert und vielleicht auch weil er Henny ein ganz klein bisschen interessant findet, begibt er sich mit Henny auf die Reise zu ihrem Gefährt. Nils Mohl schreibt in Henny und Ponger in genau 202 sehr kurzen, szenischen Kapiteln die Geschichte zweier junger Menschen, die eventuell mehr gemeinsam haben als zunächst gedacht. Dabei gelingt ihm das, was er sich vorgenommen hat: eine nicht-kitschige Liebesgeschichte zu schreiben. In sehr kurzen Sätzen beschreibt er, wie sich die Beziehung zwischen Henny und Ponger entwickelt, aber auch die Garage, in der Ponger arbeitet und die alte Dame, bei der er wohnt. Dabei sind alle Figuren auffällig charakterstark. Dazu trägt neben der sprechenden Namensgebung durch Ponger auch die Sprache bei, die durch ihren besonderen beschreibenden Stil die Atmosphäre genau einfängt. Clara, 19 Jahre
„Sie ist nah und fremd: Das ist Henny.“ , lässt Nils Mohl seinen Protagonisten Ponger über die Begehrenswerte gleich bei seiner ersten Begegnung denken. Auch Ponger scheint nicht ganz von dieser Welt. Er fühlt sich fremd in seiner Haut, wohnt bei der alten Pörl und schraubt in Susis Garage an ebenso alten Flipperautomaten herum. Seine ausgeprägte sinnliche Wahrnehmung und Hingabe zur Beobachtung trägt ihn durch die Handlungsräume, die den Spielort Hamburg wie eine Filmkulisse inszenieren. Die Regieanweisung für das Tempo ist ein genussvoller Zeitlupenmodus.
Ponger und Henny lernen sich in der Bahn kennen, in der Henny kurz nach der Kontaktaufnahme die Notbremse zieht, um im Tumult barfuss über die Dächer der Waggons der Polizei zu entwischen. Davor steckt sie Ponger ein Billighandy in seine Brusttasche. Es klingelt während seines Gespräches mit der Polizei. Cut. Henny turnt erneut über das Dach durchs Fenster in seine Kammer, um ihm ein küchenschwammgroßes Gerät zur Reparatur zu überlassen. Wer ist diese Henny? Die UP, die unbekannte Person, wie es im Polizeijargon heißt, trägt keine Schuhe und verweigert sich auszuweisen. Hat sie vielleicht sechs Zehen? Alien Autopsy lässt grüßen, ein kleiner Nebengenuss auf dieser kriminalistischen Schnitzeljagd. Oder befinden wir uns vielleicht doch in La La Land, welches Henny besingt. Kann man Ponger trauen, der ebenso wie Henny keine Papiere besitzt und sich illegal in der Stadt aufhält? Woher kommt sein Talent, alte Elektrotechnik zu reparieren? Darunter eine Pine Ball Maschine, die sich Attack from Mars nennt. Mohl ist im wahrsten Sinne ein „Beziehungsroman“ gelungen. Mit seinen Worten komponiert er ungeahnt und kunstvoll die Elemente. Seine 202 kurze und Kürzestkapitel scheinen Puzzleteile, die einzelnen Sätzen Raum lassen, ihren besonderen Klang zu entfalten oder eine versteckte, verrückte Sinnhaftigkeit wahrzunehmen mit der man in der eigenen Fantasie Brücken baut. Wie sieht man diese Geschichte, wenn man bei Pongers Namensgebung eine Seelenverwandschaft zur Fotografin und Filmemacherin Lisl Ponger vermutet? Mohl eröffnet mit Henny & Ponger ein kriminalistisches Roadmovie mit viel Spiel für Möglichkeiten. John Greens "Margos Spuren" tragen die jugendlichen Protagonisten vorbildlich in der Tasche. Augenzwinkernd umspielt er die zaghaften Schritte ihres hin und zurück auf diesem Planeten mit starken Frauenrollen. Die Garagenbesitzerin Susi ist einfach unschlagbar, wenn sie über Ponger sagt: „Er ist Gott. Aber ich bin Chef von Gott.“
Mohls Coming of Age Roman befindet sich in dauerhaftem Schwebezustand und liest sich mit beständigem Schmunzeln leicht wie eine Feder. Damit findet er ein außergewöhnliches Bild für den sonst so gewichtigen, schmerzhaften Seelenzustand, den wir Pubertät nennen. Katrin Rüger