Tom, Josie, Michael und die Ich-Erzählerin sind beste Freunde, so wie es beste Freunde in einer dritte Klassen geben kann: völlig verschieden, aktionsfreudig, neugierig und aufgeschlossen. In ihre Klasse geht auch Brendan. Brendan der Quälgeist, so wie jede Klasse einen Stänkerer hat. Manche Lehrer nennen ihn bloß den Bengel. Die Eltern und Kinder sagen Mobber zu ihm. Und seit neustem sitzt ein neuer Junge in der letzten Reihe: Ahmet. Ahmet ist still, vielleicht ist er taub? Ahmet ist verschüchtert und verbringt die Pausen nicht auf dem Pausenhof. Vielleicht ist er gefährlich? Oder ansteckend? Schnell kursieren ein Menge Gerüchte über Ahmet unter den Kindern. Nicht zuletzt aufgefüllt mit dem, was sie bei ihren Eltern über Ahmet gehört haben. Ahmet ist ein Flüchtlingskind. Ohne Eltern ist er in London gestrandet. In seinem Land werfen Mobber Bomben. Er wird Monate brauchen, sich verständlich zu machen, aufzutauen und ein wenig von sich zu erzählen. Da sind die Erzählerin und ihre Clique schon viele Schritte weiter. Mit Süßigkeiten, Obst und sogar einem Granatapfel versuchen sie Ahmet zu integrieren. Als sie von den Erwachsenen aufschnappen, dass England seine Grenzen für Flüchtlinge schließen wird und Ahmets Eltern noch immer nicht gefunden und nach England gebracht werden konnten, reift in den Kindern ein verwegener Hilfe suchender Plan.
Das erste aktuelle Kinderbuch im Atrium Verlag, dem Verlag, der das Erbe Kästners ediert, kann es mit seinem großen Vorbild aufnehmen. Ganz im Sinne der Kindergang um Emil und die Detektive helfen die Kinder einander, ergreifen Partei und versuchen sich, mit dem Herz am rechten Fleck und einer gehörigen Portion Mut, vorbei an den Spezialwachen vor dem Buckingham Palace und mit ein paar Teebeuteln und Keksen im Rucksack (falls die Queen gerade nichts im Hause hat) Gehör bei der Regierung zu verschaffen. Da sie Kinder sind, geht die Sache mächtig schief und gelingt zugleich. „Fleiß, Aktivität, Besonnenheit, Selbstbeherrschung, Bescheidenheit, Stolz, Offenheit, Aufrichtigkeit, Tapferkeit, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl und Zivilcourage, das sind die Eigenschaften, die Kästners Helden prägen“, heißt es bei Hans Wagener, zitiert in Klaus Kordons „Die Zeit ist kaputt“, zu Erich Kästners literarischen Kinderfiguren. „Denn Kinder, das glaube und wisse er, seien dem Guten noch nahe wie Stubennachbarn. Man müsse sie nur lehren, die Tür behutsam aufzuklinken.“, sagt Kästner selbst (ebenda). Raúf erzählt behutsam, entwaffnend und schlicht, eindringlich, aktuell sowie ungebrochen aus Kindersicht vom Umgang der Kinder miteinander und vom erwachsenen Einfluss in ihre Weltsicht. Beim Vorlesen wird so manchem Erwachsenen klar werden, dass Kinder von allem, was um sie herum geschieht etwas aufschnappen und es für sich deuten. Sie haken nach, treten in Aktion und können Türen öffnen, bei denen Erwachsene Vorbehalte haben. Nahe den Kindern im kästnerischen Sinne wachsen Raufs Kinder zeitgemäß über ihn hinaus und öffnen Türen, durch die man ihnen gleich folgen möchte. Im Anhang des Buches finden Kinder noch einige nützlichen Ratschläge und wissenswerte Erklärungen, zum Beispiel was im Wort „Flüchtling“ steckt, und was das Wort „Immigrant“ bedeutet, welche Länder bisher viele und welche eher wenige Flüchtlinge aufgenommen haben.