Mario Helm ist keine vierzehn Jahre alt geworden. Das wissen wir von Anbeginn, denn er erzählt seine Geschichte aus einer für ihn selbst ungewohnten Perspektive des Überblicks, über die Grabsteine seines Friedhofes hinweg. Sein vielleicht erster Blick über eine Welt von geschlossenen Rechtecken hinaus: Dem Kinderzimmer, den Klassenzimmern, den Innenhöfen sozialistischer Neubausiedlungen. Hier, in den Höfen, lernt er Rajko und seine Schwester Ema kennen, aber auch Stefan und Nicki, den Anführer einer Neonazi Gang. Sich selbst überlassen richten sich die Jugendlichen innerhalb der Kollektorgänge zwischen Ver- und Entsorgungsrohren der Siedlung ein. Ihre Rivalitäten tragen sie in der beständigen Abwesenheit von Erwachsenen in Schlägereien aus. Die in 63 Sequenzen erzählten Kapitel sind dynamisch kurz, und voller Hunger und Träumen von einem anderen Leben. Doch diese Kinder schaffen es noch nicht aus- und aufzubrechen. Das Außenseiterdasein, eine Welt in schwarzweiß, die sich allein durch das Überlegen oder Unterlegen sein definiert, begleitet ihre eigentlich noch kindliche Welt, in dem das Erlernen einer Kampfsportart wie das Boxen viele alltägliche Einsatzbereiche und Anerkennung bietet. Gruppenbildung und Gangs sind überlebenswichtig. Die Bewaffnung mit Messern ist der nächste Schritt. Ihr Einsatz bleibt nicht aus. Wann hat sich diese Spirale in Gang gesetzt und wer hätte sie stoppen können. Dieser sparsam erzählte und wie leicht hingeworfen wirkende Text - „Hört er mir denn gar nicht zu? Hat er eine Schallschutzurne?“, fragt Grabnachbar Hoffmann Mario mitunter, ist weder anklagend und aufklärerisch und in den Anmerkungen erstaunt der weite Bogen zum Faustkämpfer Johann Wilhelm Trollmann. Ihm hat Raijko offensichtlich seinen tänzelnden Stil abgeschaut. Der Umgang der Nationalsozialisten mit Trollmanns Leben ist alles andere als respektabel. Im Falle einer Klassenlektüre böten sich viele diskutablen Anknüpfungspunkte. Im damals, in den 90er Jahren, in denen das Buch spielt oder im heute, hier und jetzt. Dem Peter Härtling Preisträger ist eine feingesponnene, beachtlich gelungene Geschichte gelungen.