Wir haben uns hemmungslos verliebt! In ein Nashorn, dessen Augenaufschlag uns dahinschmelzen lässt, in betörende Farben und schwindelerregende Perspektiven. In eine Dynamik, die man Dickhäutern gar nicht zutraut. Doch halt! Ist da überhaupt ein Nashorn? Wo Ludwig sieht, sieht Vater nichts. Da oder nicht da? Neue Bilderbuchphilosophen braucht das Land, und dieses Buch brauchen wir unbedingt!
Die drei Sonderfarben im Siebdruckverfahren auf die Seiten gedruckt, strahen den Betrachtenden um die Wette entgegen und mischen sich mit Ludwig blühender Fantasie. Bis eben noch hat ein Nashorn auf seiner Bettkante gesessen. Jetzt steht sein Papa im Raum und Ludwig scheucht ihn auf der Suche nach dem nicht gerade kleinen Tier durch sein Zimmer. In den Schrank und unter das Bett, zwischen die Regalbretter mit Spielsachen und unter den Schreibtisch. Selbstverständlich hat das Nashorn überall gerade noch gesessen. Noch einen Blick mit dem Fernglas zu den fernen Sternen. Natürlich wissen wir alle: Der Mond ist da, auch wenn man ihn gerade nicht sieht. Das Nashorn baumelt derweil von dern Deckenlampe in den winzigen Raum. Seine Perspektive nehmen wir ein, wenn der typische Erwachsenen-Stoßseufzer förmlich aus dem Buch schallt: „Ach Ludwig, was soll nur aus dir werden?“„Ich werde Philosoph!“ Na klar. Und wir gleich mit, denn Ludwig schaut aus seinem Kinderzimmerchen zu uns hinauf und nimmt uns mit. Seine Arme öffen sich weit, uns entgegen. Sie sprengen den beengten Raum und sind bereit für die weite Welt, die er schon längst im Herzen trägt. Was für eine atemraubende Bildkomposition zwischen Vater und Kind, die Ludwigs kindlicher Gegenwart und seine Zukunft so organisch zusammenführt und uns, als Betrachtende mit einbezieht.
Das Buch basiert auf einer berühmten Anekdote, einem Disput zwischen Ludwig Wittgenstein und seinem Lehrer, in der Wittgenstein die Behauptung aufgestellt hat: „Es lässt sich schlechterdings nicht beweisen, dass KEIN Nashorn im Raum ist.“ Zum Glück hat er bis heute recht behalten, denn so kann die Kunst der Fantasie raumgreifend werden und über den Raum hinauswachsen. Schöner als in diesem Buch wurde sie selten in Szene gesetzt. Noemi Schneider erzählt den Sachverhalt mit wenigen, pointiert gesetzten Worten. Dieses Bilderbuch ist rundum, bis hin zu Vorsatz und Nachsatz, einfach ganz große Kunst. Sie reißt uns mit, berührt unser Herz und bewegt unseren Geist.