„Über zwei Jahre hat Achim ein Leben im Dunkeln geführt.“ Der junge Mann hatte sich in seinem Ingenieurstudium einer Gruppe Westberliner Studenten angeschlossen. Als Fluchthelfer buddelte er mit ihnen an vier Tunneln, die DDR Bürger unter der Berliner Mauer hindurch in die Freiheit führen sollten. Die Jungs arbeiteten in Schichten. Wochenlang, Monate. Körperliche Schwerstarbeit auf engstem Raum, kaum Licht, kaum Luft und immer die Angst im Nacken. Das, was Achim für Andere tat, blieb Jahrzehnte im Dunkeln. Erst mit dem Mauerfall traute er sich, davon zu erzählen.
In ihrem zeitgeschichtlichen Jugendroman beleuchtet Maja Nielsen nun seine Lebensgeschichte. Achim Neumann wuchs in der DDR auf. Als seine Freunde und er in ihren Sommerferien auf einem Zeltplatz an der Ostsee vom Bau der Mauer erfuhren, wollten Sie dieser Meldung zunächst keinen Glauben schenken. War es vorstellbar, dass eine Stadt wie Berlin innerhalb eines Tages vollständig abgeriegelt werden könnte? Diese Mauer riß Familien und Freunde auseinander und Grenzgänger wie Achims Freund Hase verloren ihren Studienplatz in Westberlin. Diese verschärften sozialistischen Lebensverhältnisse schnürten den Jugendlichen die Luft ab. Sie wollten raus. Wer es in den Westen schaffte, versprach die Anderen nachzuholen.
Achim hatte es geschafft, mit einem Schweizer Pass durch den Grenzübergang Friedrichstraße. Wäre er aufgeflogen, hätte sie ihn auf Jahre eingesperrt. Welche Fluchtwege hatten Chancen auf Erfolg? Achims Schwester Bea gelang die Flucht in einem Auto versteckt über die Grenze nach Westberlin.
Über den ersten und kürzesten Tunnel an der Bernauer Straße gelang es den Studenten trotz Wassereinbruch auf Anhieb 29 Menschen in die Freiheit zu bringen. Wegen des Wassers musste alles schneller gehen als geplant. Achims Freundin, für die er buddelte, war zu diesem Zeitpunkt nicht erreichbar. So buddelte Achim weiter. Einen nächsten, tieferen und übernächsten, längeren Tunnel. Und einen Tunnel, der kurz vor Fertigstellung verraten wurde. Die Kommunikation im geteilten Berlin war schwierig und gefährlich. Nur eins war sicher: Alles und alle wurden überwacht. Seine Familie und seine Freunde wurden verhört und verhaftet.
Dem emotionalen Wechselbad, der beständigen Angst, der Isolierung, dem Stillschweigen vor Anderen, räumt Maja Nielsen bei aller Dramatik über missglückte und geglückte Fluchtversuche wenig Raum ein. Ihr Augenmerk liegt auf den Sachverhalten. Hier hat der Roman, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem Zeitzeugen Joachim Neumann authentisches und gut recherchiertes Material zu bieten.
„Es ist nicht selbstverständlich in Freiheit und Demokratie zu leben.“, sagt Joachim Neumann, wenn er heute Menschen seine Geschichte erzählt. „Was ist zu machen, wenn es mal nicht so schön läuft wie bei uns zur Zeit.“ Dazu kann seine Geschichte einen Beitrag leisten.
In den Berliner Unterwelten kann man heute ein Stück des erfolgreichsten Fluchttunnels besichtigen. Durch ihn gelangten 57 Menschen nach Westberlin. Auch Chris, Achims Freundin und spätere Frau war endlich unter ihnen. Eine dieser spannenden Führungen zu Originalschauplätzen beim nächsten Berlin Besuch einzuplanen ist sehr zu empfehlen.
im Interview mit dem Gerstenberg Verlag.
Hier erfahrt ihr mehr zur Tour M "Unterirdisch in die Freiheit" der Berliner Unterwelten.