Leseprobe © Courtesy of the Nini-Treadwell Collection © “Loving" by 5 Continents Editions/Elisabeth Sandmann Verlag
Schon beim ersten Durchblättern springt das Glück, welches all diesen Bildern von Männerpaaren innewohnt, auf mich über. Fotografien, aufgenommen zwischen 1850 und 1950, waren, anders als heute, keine Massenware. Sie stammen aus einer Zeit, in der man einen Fotografen bat, das eigene Leben für sich selbst und andere als Erinnerung oder für die Nachwelt festzuhalten. Die Fotos stammen aus einer Sammlung von Hugh Nini und Neal Treadwell. Sie wurden in den USA, aber auch in Europa und Russland aufgenommen. Sicher wurden sie sorgsam inszeniert, denke ich. Und doch wohnt all diesen Fotografien ein kunstvoll herausgearbeitetes, beiläufiges Zeitmoment inne. Ein Widerspruch, der mich bannt und verzaubert.
Auf einigen Fotos lassen sich symbolische Gegenstände entdecken: Schirme, Ringe, Blumensträuße. Wie viele private Hochzeitsfotos sind darunter? Auf einem undatierten Fotostreifen schauen sich zwei Jungen, bekleidet mit Anzug, Schlips und gestärktem, weißem Kragen erst unter einem Schirm in die Augen, dann halten sie ein Schild in die Kamera: „Not married but willing to be.“ Wie viel Mut steckt in diesen Bildern? Wie viel Sehnsucht sich mitzuteilen? Wie viele Träume, legal ein glückliches, gemeinsames Leben führen zu dürfen? Wog in einer Zeit, in der gleichgeschlechtlich Liebende strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich gebrandmarkt wurden, die Gefahr entdeckt und ausgegrenzt zu werden für die Beteiligten weniger, als der Wunsch ihr Glück und ihre Liebe füreinander festzuhalten? Und wie universell zeigt sich auf all diesen Bildern doch unsere Körpersprache. Für diese, rund um die Welt entstanden Fotos gab es sicher keine Absprache und schon gar keinen social media Code für Kopfhaltungen, Umarmungen, verstohlene Berührung der Hände oder Blicke. Trotz allem findet man viele Parallen.
Vor allem in den Augen, so meinen die Sammler dieser Fotos, würde sich die Liebesbeziehung dieser Paare erkennbar spiegeln. Wer Loving in den Händen hält, besitzt einen unfassbaren Schatz mutiger, romantischer Liebesbekenntnisse. Zärtlich, stolz und vor allem glücklich. Festgehalten in fotografischen Kunstwerken, die uns obendrein von der Ferrotypie bis zum Fotostreifen aus dem Automaten durch die Geschichte der Fotografie führen. Ein einzigartiger, inspirierender, kraftvoller und berührender Fotoband, den man, einmal aufgeschlagen, kaum wieder aus den Händen legen kann.