An Noris Nase vorbei ist eine Murmel in seine Höhle gerauscht. Mit ihrer in der inneren Kugel geschwungen Welle aus farbigem Glas ist sie ein Fremdkörper in Noris Scherenschnittwelt. Ihr Aufprall zerstört mehr als nur Noris Tisch und Stuhl. Mit der Murmel begegnet Nori dem Mädchen. Für ihn, dessen Tisch und Stuhl Murmelgröße haben, ist sie eine Riesin. Das Kind ergreift Nori. Es entführt es und spielt mit ihm, macht es vom aktiven Gestalter zum passiven Erfüller eigener Wünsche.
Antje Damm, die Meisterin dreidimensionaler Papierbühnenwelten, spielt in diesem Bilderbuch mit der Zweidimensionalität und den Kontrasten des Scherenschnittes. So erkennen wir in Nori ein pummeliges, gutmütiges Wesen an dessen Bauch und Po die Fellhaare abstehen. Seine kurzen Beine sind so lang wie sein Schwänzchen, die Finger zart, Nase und Ohren spitz und von gleicher Form, alles schwarz. Nur sein Auginneres strahlt Gelb und fixiert unseren Blick. Die Augen spiegeln den Kosmos seiner Gefühle wider: Neugier, Erstaunen, Verzweiflung und Wut.
Mittels Reduktion gestaltet Damm faszinierende Vielschichtigkeit. Überall entdecken Vorlesende wie Zuhörende Ankerplätze mit Identifikationspotential für eigenes Erleben. Unsicher klammert sich das Nori in luftiger Höhe auf einer Traktorschaufel fest, dessen oberster Rand sich in der Mitte des kaum vom Boden gelösten Kinderfußes befindet. Mit zusammengekniffenem Mund, ein Lätzchen um den Hals gezurrt, fixiert es den Löffel voller Erbsen als wöllte es ihn wegzaubern. In Gedanken tänzeln wir mit ihm über die Wiese und zupfen die kleinen Beeren vom Strauch. Noris köstliche Entdeckung, die es vor kurzem noch wie Rotkäppchen mit wippendem Körbchen in seine Höhle getragen hat. Noris Nein ist kein trotziges. In ihm schwingt die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Es möchte wieder das Nori sein. Beides wird gelingen.
In ihrer gelungenen Gesamtkomposition liefert Damm zu den wenigen Farbtupfern, den gelben Augen, den roten Beeren und grünen Erbsen einen sparsamen Text voller Sonnenstrahlen, Wiesenduft und Glück. Noris Kosmos. So klein und so groß. In ihm kann man das Ich und Du erspüren, entdecken und stärken.