Von Anbeginn fühlt sich Hans von dem neuen Jungen in seiner Klasse angezogen. Hellmut ist mit seiner Familie aus dem brandenburgischen Pritzwalk nach Berlin gezogen. Hans eröffnet sein Erzählen mit der Erinnerung an die Schönheit eines Sommers, in dem er der Unschuldigkeit entwächst, selbst wenn Hellmut seine Gefühle nicht erwidert. Dieser fühlt sich eher zu seiner kaum ältere Stiefmutter hingezogen, Magda Quandt.
Mit Hans Kesselbach, einem fiktiven Klassenkameraden Hellmut Quandts, der sich wegen des Paragraphen 175 im Halbdunkel aufhält, wählt Bossong eine überzeugende Erzählperspektive auf die realen Akteure jener Zeit. Aus seinem Augenwinkel folgen wir der Erscheinung und dem Wesen Magda Quandts, Hellmuts Stiefmutter, später Magda Goebbels, in einer Zeitspanne von ihrer ersten Begegnung in den 20er Jahren bis zum Juli 44.
Nach seinem Schulabschluss und einer freiwillig gewählten militärischen Ausbildung studiert der belesene, musikalische junge Mann Jura. Der tragische Tod Hellmuts 1927 bringt ihn in die Verlegenheit, an seiner Statt Magdas Wünsche nach Begleitung zu erfüllen. Sich seiner Homosexualität bewusst, versucht er diese Abzuschütteln und ihr zu dienen, was vierhänding am Klavier am besten gelingt. Hans passt sich an, er arbeitet fürs Ministerium und geht in den diplomatischen Dienst nach Mailand und Zürich.
Hans stellt sich in seinen Erinnerungen den Fragen seiner eigenen Schuld und immer wieder der Frage, wer oder was Magda hätte daran hindern können, zu werden was sie wurde. „Sie brauchte Licht, das auf sie abstrahlte, vielleicht ist das so, wenn man eigentlich überall nur Dunkelheit sieht.“ Hans, der auch mit fortschreitendem Alter allein bleibt und versucht unauffällig zu leben, beleuchtet die Menschen. Seinen Vater, den kriegsversehrten Oberst, der in der alten Zeit gefangen bleibt, seine Bekanntschaften aus dem Eldorado, ein flirrender, betäubender Aufbruch, der viel zu schnell Verangenheit wird, die Sozialisten, Kommunisten und Nationalsozialisten, denen er begegnet. Die Leichtigkeit mit der er uns vom Zentrum nationalsozialistischer Macht zum Horoskopverkäufer auf der Straße führt, dessen Leben er genauso wenig aus den Augen verlieren wird, ist ein bewegendes Lesevergnügen.
Die politischen Ereignis wehen durch das offene Fenster von der Straße herauf, bilden die Orientierung in der Zeit des auf die Akteure fokussierten Textes. Den nationalsozialistischen Sprachduktus übersetzt Blossong in ihre eigene, klare Sprache, die mitreißt, in die Sehnsüchte und Gewalt jener Zeit.
Blossong schildert Machtgefühl und Vision als treibenden Motor jener Zeit, darin Menschen, deren neuer Glaube aus sich verdunkelden, gewaltbereiten Herzen kommt, und deren radikale Opferbereitschaft zur Tötungsmaschinerie wird, die auch bei Frauen vor selbstzerstörischen Konsequenzen nicht Halt macht.
Ein eindringlicher Roman, dessen Romanhaftigkeit wir uns immer bewusst bleiben und der zu weiterer Recherche anregt.