Anatol Regnier singt und spielt Lieder seines Großvaters Frank Wedekind und erzählt Anekdoten aus seiner Kindheit in Schwabing. Ein wunderbarer, lustiger Abend.
Ist er ein bayerischer Lausbub, ein Eichendorff´scher Romantiker oder gar beides zusammen? Schon der Titel bringt unsere Gedanken zum Schwingen. Anatol Regnier eröffnet mit ihm die künstlerische Spielwiese seiner Kindheit und Jugend.
Der Sohn von Pamela Wedekind und Charles Regnier ist kein Kind von Traurigkeit. Der Musiker und Schriftsteller wächst im großen Bekanntenkreis seiner Eltern auf, inmitten von Künstlern und Literaten, Dörflern und Städtern. Seine lebhaften Erinnerungen würzt er mit kuriosen Momentaufnahmen, in denen wir dem jungen Helden kopfüber in einen Gullischacht folgen oder am Totenbett des Onkels wenig rühmliche Überlegungen anstellen, den verstorbenen Einbeinigen in einer Art Gitarrenkasten zu beerdigen. Sie zaubern ein Schmunzeln in unsere Herzen und öffnen es für die Lebensgeschichten vieler Menschen, die Regnier erlebt hat und deren Lebensgeschichten er uns hier zu seiner eigenen präsentiert.
In der Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit, in der der Krieg zwar vorbei doch überall noch gegenwärtig ist, erkundet das Kind auf eigene Faust, oft in Begleitung seiner Schwestern oder Freunden die ihn unmittelbar umgebene Welt. Er ist ein genauer Beobachter und entwickelt ein gutes Gespür für seine Mitmenschen.
Sein geduldiger Vater steht nicht nur einmal finanziell für die Flausen seines Sohnes ein. Im Gegensatz zu der oft überängstlichen Mutter lässt er seinem Sohn im wahrsten Sinne des Wortes viel Spiel-Raum. Von seiner Homosexualität und der Inhaftierung 1934 nach Paragraph 175 erfährt der Sohn erst nach seinem Tod, denn queeres Leben wurde auch nach dem Krieg verschwiegen behandelt. „Er macht so wenig Aufhebens um seine Person“, resümiert Regnier, dem der Vater sehr lieb ist und den seine Bekanntschaften und Freunde reicher und offen für die Welt machen.
In der Künstlerszene der Nachkriegszeit mischen sich die Karrieristen des Nationalsozialismus mit denen, die aus dem Exil zurückkommen. Regnier ist es wichtig, ihre Haltungen zum Nationalsozialismus unaufgeregt aber deutlich zu benennen. Der erst 2019 aufgetauchte Briefwechsel aus den 30er Jahren zwischen seiner Mutter und Waldemar Bonsels, dem Autor der Biene Maja, Nachbar in Ambach und Mitläufer wie Antisemit ist nur ein Beispiel.
So halten wir zwischen den experimentierfreudigen Irrungen und Wirrungen des schelmischen „Taugenichts“ auf dem Weg in sein eigenes Leben eine spannende Dokumentation der Künstlerszene Schwabings der 50er und 60er Jahre in Händen, deren zentraler Handlungsstrang eines von vielen Familienleben erzählt. Ein Familienleben, das allen Mitglieder immer wieder erstaunliche Freiräume einräumt und kontrapunktisch zu den beengten und konservativen Lebenswelten der Nachkriegszeit steht.
Was für ein Feuerwerk. Antatol Regnier zaubert uns einen unvergesslichen Lesungsabend in den Palast.
Und wir erliegen seinem Charme. Was für eine ansteckende Lust am Fabulieren und musizieren. Was für ein Abend voller Energie, Herzblut und Leidenschaft. Wir lachen viel und nein, wir weinen nicht, sondern schwegen mit, in Erinnerungen. Auf den ungemütlichen Klappstühlen hielten wir es länger aus als üblich. Bitte noch noch ein Lied und noch eine Geschichte!
Der Mix aus eigenwilliger Familiengeschichte ("bei uns war ja immer alles anderes als bei Anderen"), Begenungen mit der Künstlerszene und Ortskenntnis, als wär es gestern gewesen, macht Lust auf dieses und alle weiteren seiner Bücher. Lest sie! Sie sind unsere unbedingte Leseempfehlung.
Anhand von vielen Briefwechseln erzählt Regnier von der Ehe seiner Großmutter mit Frank Wedekind und vom Leben mit ihren Töchtern.
Dieses Buch handelt von Schriftstellern im nationalsozialistischen Deutschland, ihrem Spagat zwischen Anpassung und künstlerischer Integrität unter den Bedingungen der Diktatur.