Hin und her, hin und her fliegt das Kind auf der Schaukel. Hier, mit den Füßen am höchsten Ast des Baumes kann es den Krieg, die Fremde verbannen und schließt ein Abkommen mit der Welt, ein Mantra zur Rückkehr des Vaters von der Front. Die Schaukel, ein Rückzugsort, ein Kinderort. Ein Wunschort. Ein Ort der Nähe zu nicht Erreichbarem, zu nicht Verständlichem. Ein Seelenort, an dem das Kind Verlust und Trauer Raum geben kann, bis sie verlassen zwischen den Bäumen hängt. Eine Erinnerung.
Christiana Laube und Mehrdad Zaeri haben als Duo Sourati einen gemeinsamen Schaffensprozess gefunden, in dem sie einer Kindheitserinnerung von Helga Neumeyer mit wenigen, starken Bildern Leben eingehaucht haben.
In jeder Hand ein Körbchen tragend, läuft das Kind freudig der Anna hinterher, auf deren Kiepe sich die Mad türmt. Anna stammt aus der Ukraine und ist von den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit auf den Bauernhof verschleppt worden, auf dem das Kind und seine Mutter Schutz vor den Bombardierungen gesucht haben.
Achtzig Jahre später erscheint Anna zusammen mit der Katze auf dem Bett der Alleinstehenden. Die Gesichtszüge der alte Frau entspannen sich, wenn sie ihren Kopf in Annas nächtlichen Schoß legt. Anna. Der wärmende Lichtblick im Herzen ihrer Erinnerung. Ein inniger Moment, der Glück und Trauer vereint.
Licht und Schatten tanzen über die Seiten, deren digital erschaffene Bilder wie Kohlezeichnungen auf Packpapier wirken. Sie laden zum Assoziieren und Fühlen ein. Wir erkunden die visuellen und finden die seelischen Lichtquellen. In der Gegenwart erhellt ein Lichtkegel die gegenüberliegenden Häuserfront. Im Schatten ist eine Brücke entstanden. Führt sie die Gedanken in die Vergangenheit?
Die zackige Silhouette der zerstörten Stadt findet ihr Gegenstück im fließenden Rauch der Dampflok, die Mutter und Tochter aufs Land bringt. Die weichen Wolkenrundungen und Baumkronen formen die Idylle, die Hoffnung auf Sicherheit am Zufluchtsort. Doch der Krieg macht vor nichts halt. Annas Leben wird auf dem offenen Feld von einer Fliegerbombe ausgelöscht.
Wir erleben, wie die alte Frau noch einmal an den Ort des Geschehens, auf den Bauernhof reist.
Künstlerisch vollendet sprechen die immer aufs Wesentliche fokussierten Bilder eine klare Sprache. Sparsam hat Christina Laube sie mit Texten flankiert. Zaeri und Laube lassen das kurze Leben Annas aufleuchten, wie es im Herzen der alten Frau geschieht. In der unaufdringlichen Stille sehen wir auch die seelischen Verletzungen, die das Kind erfährt und die es ein Leben lang in sich tragen wird. In berührender Aktualiät ruft die Geschichte von Anna uns auch zu: Vergesst es nie, Krieg wird niemanden glücklich machen!