Raben ziehen durch die Stadt. Im Puppentheater an der Hauptstraße wird Krabat gegeben und die Kinder warten auf Einlass. Ein alter Herr küsst ein Bild von Elise. Seinen achtzigsten Geburtstag feiert er mit seinen Kindern. Er liebt Hosen mit Karomuster. In der Galerie seiner Tochter Lisa stellt er seine Zeichnungen aus. Er heißt Knut Konrad und ist Picasso Fan. Aus der Zeitung erfahren wir von seinem Preis. Auf dem Siegerfoto trägt er ein anderes Hosenmuster. Ob die Karos in der Waschmaschine stecken? Die Waschmaschine gehört Eleonore. Sie sitzt darauf und liest eine Nachricht von ihrem Bruder Yousef am Handy. In ihrem Wäschekorb liegt nicht die Hose von Knut sondern die des Mädchens in der Schlange am Puppentheater. Was verbindet die beiden? Ein kleiner Junge macht dem Mädchen schöne Augen. Sein Skizzenheft ist eine Sammlung von Blätterumrissen. Ein kleiner Knut Konrad? Eleonore wohnt am Friedhof. Hier sehen wir Knut mit Blumen an einem Grab stehen. Ein Gruß für Elise? Die kleine Melodie schleicht sich in unsere Gedanken.
Unsere Augen stehen auf Empfang für diese Augenblicke. Unser Denken vernetzt die minimalistischen Schwarzweißzeichnungen und füllt das Gesehene weiter mit eigenen Inhalten. Ein Wind muss die Bildchen ins Durcheinander gebracht haben. Was war zuerst, was kommt danach? Gibt es ein früher, ein jetzt oder das Zeitgleich? Den Startschuss zu diesem Buch legten Filzstiftzeichnungen auf Bierdeckeln. Die 232 Bilder von Bierdeckelgröße liegen in zwei Buchblöcken vom Buchrücken frei gebunden übereinander. Sie können beliebig gegeneinander geblättert werden und bleiben, einmal aufgeschlagen an jeder Stelle flach liegen. So bilden vier Bilder die erste Minigeschichte. Alle zusammen erzählen von einer bunten Lebensgemeinschaft in einer kleinen Stadt.
Ein Wurmende, im Schnabel, ein Rabennest, in einem Ziffernblatt des Glockenturms. Zaeri zoomt hinein und heraus. Ist das noch Krabat, Preußlers Klassiker, den Zaeri im letzten Jahr kongenial illustriert hat? Der Glockenturm wird zu einem Bild im Gartenhaus von Herrn Abbasi. Vor dem Haus steht das große Schild seiner Gärtnerei. Nicht nur die Gartenschere und ein gezwirbelter Schnurrbart, auch Geige und Gummistiefel gehören zu ihm. Marie nimmt ihn auf ihrem Traktor mit. Werden sie sich küssen? Marie schreibt Bücher. Eins hat sie für Hana Abbasi signiert. Doch kein Kuss? In einem Brief kündigt ein Vater seiner Tochter seine baldige Rückkehr an. Den Pizzabäcker Mario sieht man mit Hut und Koffer auf Reisen. Hat er den Brief geschrieben? Daheim küsst er Lisa. Doch hat er eine Tochter? Erspähen unsere Augen nicht auch Herrn Abbasi neben Mario im Flugzeug. Ein Pflanzenschatten fällt auf den Brief. Ist Hana Abbasis Tochter?
Die Bilder sind der reinste Krimi. Mit ihnen verfliegt ein ganzer Nachmittag. Tapetenmuster, Bettbezüge, Kleidungsstücke, Haustiere geben Hinweise. Der Linienbus 11 fährt durch die Stadt. Die Welt ist eine Haltestelle. Hier beginnt Marios Reise, hier steht sein Koffer. Hier küsst Niko seine Lale. Und wer küsst noch? Achtung Spoiler: Yousef küsst im Urlaub seinen Liebsten, den wir später im Bus erspähen. Filipe ist über beide Ohren in Eleonore verliebt und küsst sie im Kino. Das Kino gehört Gloria, die den Blinden küsst und seinen Blindenhund mag, dem wir in Yousefs Tierarztpraxis wieder begegnen. Ebenso wie Lisas Katze Limo, die sich gut mit Marios Kater Schimanski versteht. Hat Schimanski immer seine weiße Schwanzspitze? Last but not least küssen sich Knuts Fische.
Der Engel auf dem Kirchturm schwebt über allem und winkt zum Denkmal im Stadtpark hinüber. Dieser in Stein gefrorene Mann wird von Knut Konrad unermüdlich verschönert. Sachbeschädigung oder Kunst? Seine Werke machen das Leben des Städtchens fröhlicher. Und was entdeckt ihr? Kann jemand sagen, wohin das Radio gehört? Verdammt. Nochmal von vorne! Dieses Bilderbuch ist eine Geschichtentruhe für 1001 Nacht. Ein Roman zum Verlieben, ganz ohne Worte. Sieben Jahre haben die Arbeiten zu diesem Kunstwerk gedauert. In sieben Jahren werden wir immer noch neues entdecken. Vielleicht auch die sieben Raben, die Brüder. So schlicht, so genial, so märchenhaft. So miteinander, so zusammengehörig, alle diese Menschen. Wir erleben die Magie kreativen Denkens, die in uns allen steckt und den Glückszauber von Geschichten. Und Krabat küsst Kantorka, oder war es anders herum?
Bewegender Tag im Marchivum Mannheim. Das Gebäude - ein Luftschutzbunker. 1945. Der junge Soldat, mit dem das Mädchen gerade noch scherzt, schafft es nicht mehr hinein. Auf dem Bunkervorplatz verliert er sein kaum gelebtes Leben in einem sinnlosen Krieg. Die fast Hundertjährige erzählt heut noch klar und bestimmt von diesem Tag, mit Tränen in den Augen.
Es ist eine der Szenen aus der NS Zeit, die Mehrdad und Christina auf den Betonwänden des Treppenhauses festhalten, im Raum lebendig machen und vor dem Vergessen bewahren.
Berührt halten wir der alten Frau die Hand und streichen dem jungen Soldaten über die Wange. Am Tag des offenen Denkmals, 8. September, könnt ihr es Euch anschauen.
Beglückender, unvergesslicher Ferientag.
Ach ja, eigentlich haben wir Mehrdad die 232 Bildkarten zum Signieren übergeben. Sie sind für unser Projekt Wer küsst wen / Kunst für Alle ab dem 21. September.
Vorbereitungen für unser nächstes Kunstprojekt. 232 Karten. Wie passen sie zusammen?