Vater Rhein bekam seinen Namen vom gemütlichen „rinnen“. Flüsse fließen und strömen allerorten auf der Erde. Wasser verbindet. Wasser ist in ständiger Bewegung. Wasser heißt Leben. Mehrnousch Zaeri-Esfahni formt mit ihren gewässerbezogenen, geografischen Einleitungen aller Kapitel den umfassenden Ton, das allgemeingültige Bild ihrer persönlichen Fluchtgeschichte. Mitte der 80er Jahre kam sie vom Iran mit Zwischenstopp in der Türkei über die DDR in die Bundesrepublik. Der Zayandeh Rud, der „Leben spendende Fluss“ tost im Iran die Berge hinab, um in der Ebene die stolze Stadt Isfahan zu durchqueren. Die Mauer ungeachtet verbindet die Spree Ost- und West-Berlin. Der Neckar ist ein „Wilder Geselle“ in romantisch, gewundenem Bachbett. Heidelberg wird die Endstation einer jahrelangen Flucht. Hier machte die Autorin 1994 ihr Abitur. In sparsamen Worten beschreibt das Grundschulkind den Umsturz im eigenen Land, die Veränderungen des familiären Lebens, die raumgreifende Angst, die Lügen, ohne die es kein Leben mehr gab, die Traurigkeit und die Erstarrung, in welche die Bevölkerung unter Chomeini verfiel. Die Flucht bedeutete für das Kind Abenteuer und Aufbruch in eine neue Welt. Viele neue Dinge viel leicht. Daher wurde Mehrnousch bald zur Übersetzerin im Dschungel der Behördenformulare, kaum dass die Familie in Deutschland Asyl beantragt hatte. Die Nachrichten seinerzeit zu entschlüsseln, dazu fehlte der Familie die Kraft. Erst viel später erfuhr Mehrnousch, dass 1986 die Welt mehr noch als sie selbst am Rande eines Abgrundes stand. Der Pripjat füllt mit seinem Wasser den Kiewer Stausee. Es kühlt die Brennstäbe des Kernkraftwerkes von Tschernobyl. „Die Stadt, die hier liegt, trägt seinen Namen. Auch wenn sie keinen Namen mehr braucht.“ Unter den vielen Fluchtgeschichten unserer Zeit ist diese in ihrem eindringlichen Minimalismus eine gelungene Mischung aus Geschichte und zarter Poesie, die aus der Ferne kommend den Bogen ins hier und jetzt zu schlagen versteht.