Die Geschichte von Andreas Lechners Großvater beginnt zwischen Mehlsäcken. Unermüdlich stemmt Josef sie in die Höhe. Allerlei alte Eisengeräte dienen als zusätzliche Hanteln. In der Dachkammer des elterlichen Bauernhofes in Kolbermoor hat der 16-jährige Bursche sich seine Muckibude geschaffen. Sein Ziel ist es, das Mehlsacklaufen des Ortes zu gewinnen. Eine goldene Taschenuhr winkt als Preis und natürlich die Aufmerksamkeit des hübschesten Mädchen vor Ort. Diese mit bayerischem Schmackes erzählte Szene spielt 1910. Auch hier, wo man auf Tradition setzt, hält die Modernisierung, vom Staunen der Kinder begleitet, Einzug auf den Feldern. Große Saat- und Erntemaschinen, dampfende Ungetüme ersetzen zunehmend die Knechte und Mägde. Josef träumt davon Sportler zu werden, ein starker Mann. Den ersten Weltkrieg erlebt er in seiner ganzen, schwer in Worte fassbaren Brutalität. Er überlebt. Körperlich, aber auch seelisch offenbar wenig beschädigt. Lechner treibt es schnell weiter, in die Zeit zwischen die Weltkriege. Josef Strassberger eilt von Sieg zu Sieg und steigt in München zu einem bekannten Gastronom auf. Die Geschäfte übernimmt seine Frau, derweil er, der Lebemann, in großbürgerlichen und adligen Kreisen hausiert und seinen Körper durch unermüdliches Training stählt. Lechner zeichnet das Bild eines unpolitischen Mannes, den es, „aus der dörflichen Gemeinschaft kommend durch seinen Erfolg in die Münchner Gesellschaft hinauf katapultierte“. So, wie er aufsteigt, fällt er mit ausbleibenden Siegen wieder herab. Ein erneuter Krieg vollbringt das Übrige. Fast pathetisch lässt Lechner Strassberger am Ende seine Olympiagold von 1928 im Trümmerschutt verlieren. Bildmächtig, süffisant bayrisch, und mit einer ganzen Reihe lebendiger Romandetails gespickt wird es dem Leser inmitten dieses satten Münchner Lebensbildes nicht langweilig.
Auf dem Weg zu „50 Jahre Olympische Spiele in München 1972-2022“ ist Andreas Lechners Roman Heimatgold ein Leseereignis! Der in München lebende Autor erzählt die Geschichte seines Großvaters, des bayerischen Gewichthebers Josef Straßberger, der 1928 bei der Olympiade in Amsterdam im Schwergewicht Gold holte. Als Leser*in taucht man mühelos durch den leichtfüßigen münchnerischen Ton in das Panorama des Romans, das sich von den 1870er bis in die 1950er Jahre aufspannt. Der politische wie wirtschaftliche Zeithintergrund ist kaleidoskopisch in die biographische Geschichte des Josef Straßberger verwoben wie Liebes-, Kriegs-, Emanzipations- und Münchner Stadtgeschichte. Der Wandel der Olympischen Spiele — 1928 in Amsterdam, 1932 in Los Angeles, 1936 in Berlin — ist äußert spannend zu verfolgen, insbesondere angesichts des Jubiläums im nächsten Jahr. Heimatgold — unbedingt lesen! Annette Spieldiener