Ein kleines Büchlein mit großer Strahlkraft. Lena Gorelik nimmt uns mit, auf eine bewegende Reise zu Schreibmomenten, auf die Suche nach der Melodie der Worte, ins Universum schriftstellerischer Möglichkeiten beim Umgang mit ihren Figuren. Sie führt zu Gedanken beim Schreiben im gesellschaftlichen Raum, die die Realitäten der postmigrantischen Gesellschaft beschreiben, zur politischen Haltung, die jeder Text einnimmt.
Wir erfahren wie Wörter und Sätze Fragen und Gegenfragen auslösen, Selbstzweifel und Widersprüche aufwerfen. Auf Lesungen gerät die 1981 in St. Petersburg geborene und seit 1992 in Deutschland, mittlerweile München lebende Autorin immer wieder in Konflikte durch Fragen und Vorwürfe. Auch der jüdischen Glaube und Queerness in unserer Gesellschaft stehen in ihrem Fokus.
Am Anfang steht ein Konzept. Das Konzept gibt Gorelik Halt und ist zur Entsorgung verdammt, wenn sie in Partnerschaft mit ihrem Text und ihren Figuren gerät. Behutsam arbeitet sie sich voran. Dabei spüren wir, wie auch dieser Vortrag, der für die Poetikdozentur Neue Deutsche Literatur entstand, zunächst zögerlich an uns herangetragen wird, an Standhaftigkeit gewinnt und Fahrt aufnimmt. Vor unseren Augen beginnen die Worte zu tanzen. Und sie haben einen Refrain, der es auf den Punkt bringt: „Ich schreibe, weil ich glaube, ich bin.“
Ob fiktional, autofiktional oder autobiografisch. „Wir schreiben uns immer an uns entlang“, betont die Autorin. Die Schubladen, in die ihre Texte oder sie selbst später geraten, sind von Anderen gemacht. Die Lesenden tragen ihren Anteil daran. Nicht selten erfährt sie, wie die Worte „wir“ und „unser“ nicht einschließen. Gern werden Menschen in einen Topf geworfen, merkt die Autorin augenzwinkernd. Das Bild des Topfes könne in der Literatur nicht funktionieren.
Mit ihrem Schreiben forscht Gorelik nach Ausdruck und stößt auf Lücken in der Sprache, die sie zu füllen hofft. Schreiben ist Hoffen. Literatur kann begleiten und eine gute Medizin gegen die Einsamkeit sein. In beständigen Reflexion lässt die Autorin uns an ihrer Sicht auf die Vielstimmigkeit in ihrer Literatur teilhaben.
Ihr Vortrag, der nun wie ein Essay zu lesen ist, ist ein Geschenk. Wir werden der Sprache und literarischen Texten ein Stück weit aufmerksamer begegnen.