Gleichauf startet ihre Ensslin Biografie mit dem von der Gesellschaft zementierten Bild der Terroristin. In Folge spüren wir Gleichaufs Ringen zwischen den wenigen Fakten und zahlreichen Fiktionen, die sich um die Person in ihren entscheidenen Lebensabschnitten ranken und ihre Vorsicht keine vorschnellen Schlüsse zuzulassen.
Gleichauf schildert das Heranwachsen des Mädchens in ländlicher Idylle in einem protestantischen, humanistisch wie musisch geprägten Elternhaus. Hier gibt ein Vater, der gegen die Nationalsozialisten Stellung bezieht den Ton an. In der Geschwisterschar verlebt das im zweiten Kriegsjahr geborene Kind wohl eine behütete Kindheit. Im Gymnasium sind Mädchen in der Unterzahl. Ensslin entdeckt sie ihre Leidenschaft zur Auseinandersetzung mit Sprache und Literatur. Auch im Studium bleibt ihr wacher Geist und ihre Fähigkeit, die Vielschichtigkeit menschlichen Lebens in der Literatur zu analysieren den männlichen Kollegen untergeordnet. Das Stipendium, welches Bernhard Vesper auf Anhieb gewährt wird, muss Ensslin sich über Jahre erkämpfen.
Ihre erste Beziehung gilt Bernward Vesper, der mit seinem polygamen Lebensvorstellungen und psychischen Schwankungen für emotionsgeladene Erschütterungen in Ensslin Leben sorgt. Sein Vater, Will Vesper, ist ein bekannter Nazidichter gewesen. Dazu würden wir eine Haltung der kritischen, jungen Frau erwarten. Eine erste Leerstelle, die Leerstelle bleibt und Fragen aufwirft.
Dann wechselt Ensslin an die Seite von Andreas Baader, einem wenig berechenbaren Charakter, dem sie sich stillschweigend unterordnet. Es bleibt an uns, sich einen Reim zu machen, zu Ensslins Selbstbewusstsein, ihren Wünschen und Bedürfnissen, zu ihrem Rollenbild in einer Partnerschaft. Weniger die Aneinanderreihung von Geschehnissen, mehr die persönliche Lektüre der leidenschaftlichen Leserin Gudrun Ensslin sollen Aufschlüsse zu ihrem Denken liefern.
Gleichaufs Komposition ist gespickt mit Fragen, die sie unbeantwortet lässt. Sie lässt wenig Raum für eigene Fragen und lenkt ihren Blick immer wieder auf all die gefärbten Stimmen und Urteile Anderer, die sich mit der Baader Meinhof Gruppe beschäftigt haben. Im Namen der Gruppe kommt Gudrun Ensslin, die als Geliebte von Baader zur Keimzelle der Bewegung zählt, interessanter Weise gar nicht vor.
Ihr Wandel von einem Menschen mit fester humanistischer und christlicher Verankerung und literaturwissenschaftlichem Gespür zur Radikalität fühlt sich, gerade in emotionalen Gefüge mit Baader, eher wie ein rebellisch jugendliches Abenteuer an. Ein Ringen um einen Weg zur Verwirklichung einer Utopie, so wie Prinz es bei der sechs Jahre älteren Meinhof schildert, ist bei Ensslin nicht zufriedenstellend greifbar. Ihr Handeln bleibt unverständlich und seltsam entrückt.
Viel zu wenig erfahren wir über Ensslins Blick auf diese Dritte im Bunde, Ulrike Meinhof. Zwei Frauen im Kampf um die gleiche Sache, geprägt von christlichen Werten und literarischer Bildung, wissbegierig, aufmerksam und kritisch, mit gutem Sprachgefühl und als Frau und Mutter im Rollenkampf in der Gesellschaft stehend und doch weit von einander entfernt. Welche Rolle wohl die Lebens- und Berufserfahrung von Meinhof, die der Altersunterschied mit sich bringt, spielt?
Und gerade weil Gleichauf keinen Zweifel lässt, dass Ensslin viel mehr Rollen in ihrem Leben innehatte und hätte ausfüllen können, fragen wir uns umso mehr, warum sie sich letztendlich für diese gnadenloseste aller Rollen entschieden hat. Eine Rolle, die ihren gierig schöpfenden Denkhorizont auf ein schwarzweißes Lebensbild reduziert hat, eine Rolle, die weder Rückkehr noch Umorientierung ermöglichte.
Diese Biografie erzählt vor allem von einer, die sich in Gefangenschaft begeben hat. Abhängig in ihren Partnerschaften hat sie ein Leben gefangen im Untergrund gewählt, gefangen in einem System, das sie in jungen Jahren schon zur Gefangennahme provoziert und zu Recht hinter Gitter gebracht hat. Im Gefängnis geben ihre und Baaders Kassiber, die Textnachrichten an die anderen Gefangenen der Gruppe, den Ton an. So herrschten sie über Dazugehörigkeit oder pschologische Vernichtung. Aktivitäten mit begrenztem Handlungsradius, denen ein Spiel mit Macht über Andere innewohnt. Ich hätte mir eine größeren Blick über den Horizont und in die Zeit hinein gewünscht.
Auch Terroristen sind Menschen. In Falle von Ulrike Meinhof mit umfassender humanistischer Bildung und starken christilichen Werten. Alois Prinz spürt ihrem Wesen und Wirken nach, schafft Nähe, aber auch Distanz, eingebettet in ein überaus lesenswertes Zeitbild das er um viele politische, literarische und philosophische Stimmen ergänzt.